Wegsehen, aussitzen, beschwichtigen – die neue (alte) Strategie beim Umgang mit den massiven Problemen im Standesamt Mitte? (Drucksache – 1140/V)
10. April 2018

Große Anfrage der AfD-Fraktion BVV Berlin Mitte vom 10.04.2018
Initiator: Fraktion der AfD (Herr Paetz, Herr Torno)
Wir fragen das Bezirksamt:

1. Wie erklärt sich die Bezirksstadträtin für Jugend, Familie und Bürgerdienste aus Mitte den Umstand, dass der Bezirk Reinickendorf in Bezug auf das Standesamt vor ähnlich großen Herausforderungen stand wie der Bezirk Mitte und das die Probleme in Reinickendorf innerhalb von 12 Wochen gelöst wurden? (Hintergrund: Die Wartezeiten im Reinickendorfer Standesamt betrugen im vierten Quartal 2016 vier bis sechs Wochen bei Sterbe- und Geburtsurkunden und die Wartezeiten zur Voranmeldung zur Eheschließung betrugen über fünf Monate).

2. Wie erklärt sich die Bezirksstadträtin für Jugend, Familie und Bürgerdienste aus Mitte den Umstand, dass der Bezirksstadtrat aus Reinickendorf für Bürgerdienste und Ordnungsangelegenheiten im Mai 2017 und am 21. Juni 2017 ihr Hilfe bei der Beseitigung der Probleme im Standesamt Mitte anbot und diese Hilfe seitens der Bezirksstadträtin für Jugend, Familie und Bürgerdienste jedoch abgelehnt wurde?

3. Wie erklärt sich die Bezirksstadträtin für Jugend, Familie und Bürgerdienste aus Mitte den Umstand, dass sie dann später aber darum gebeten hat, dass alle Standesämter alle verfügbaren Standesbeamten nach Mitte entsenden sollen? Weshalb werden die internen Möglichkeiten nach Vorbild des Bezirks Reinickendorf nicht voll ausgeschöpft?

4. Wie erklärt sich die Bezirksstadträtin für Jugend, Familie und Bürgerdienste aus Mitte den Umstand, dass es ihr bisher seit ihrem Amtsantritt am 27. Oktober 2016 nicht gelungen ist, die Arbeitsprozesse zu reorganisieren, um die internen Abläufe zu straffen und die Probleme in dem Standesamt in den Griff zu bekommen?

5. Wann wird die Bezirksstadträtin für Jugend, Familie und Bürgerdienste die örtlichen Gegebenheiten analysieren, um die im Bezirk Reinickendorf eingeleiteten Maßnahmen auch in Mitte umzusetzen?

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Mündliche Beantwortung der Großen Anfrage in der BVV am 19.04.2018 :

Frau BzStRätin Dr. Obermeyer informiert vorneweg:
„Die Fragen sind so gestellt, dass ich mir vieles erklären muss. Ich vermute, es ist so gemeint, dass ich es nicht nur mir selbst erkläre, sondern auch Ihnen. Ich habe die Fragen bvv-freundlich uminterpretiert und werde diese aufgrund ihrer Länge nur kurz anreißen.

Zu Frage 1:

Frau BzStRätin Dr. Obermeyer antwortet: „Es geht um einen Vergleich mit dem Bezirk Reinickendorf. Ich kann die Situation in Reinickendorf nicht vollständig beurteilen, möchte ich mir auch nicht anmaßen. Ich glaube allerdings, dass man die Frage stellen könnte, ob die Probleme in zwei Bezirken immer vollkommen gleich sind, selbst wenn sie das selbe Amt betreffen. Insofern ein paar Rahmendaten: Das Standesamt Reinickendorf hatte es in 2017 bezüglich der Beurkundung von Geburts- und Sterbefällen mit etwa 4.000 Vorgängen zu tun. Das Standesamt Mitte mit 11.000. Gleichzeitig, das habe ich auch schon öfter dargestellt, dass die Komplexität der Vorgänge in Mitte auch dazu führt, dass Bearbeitungszeiten durchaus lange dauern. Das hat zum Teil auch mit der Migrationsgeschichte der Menschen zu tun, die sich an das örtlich zuständige Standesamt wenden. Da ist die Situation in Mitte auch anders, weil der Anteil der Wohnbevölkerung mit Migrationsbiographie bei uns knapp über 50% beträgt, in Reinickendorf 30%. Die wesentliche Ursache dafür, dass es im Standesamt Mitte so lange dauert, bis eine Besserung eintritt, die wir jetzt allerdings sehen, liegt an der Personalsituation, wie mehrfach dargestellt. Für 2017 kann ich es erneut zusammenfassend darstellen: Die Personalsituation in 2017 war dadurch gekennzeichnet, dass wir ein Soll von 15 Standesbeamt*innen hatten. Zum Teil waren nur 8 da, aus verschiedensten Gründen. 2 Stellen waren nicht besetzt, 2 waren langzeiterkrankt, für die nicht besetzten Stellen musste Nachwuchs gefunden werden und dann hatten wir noch 3 Kolleg*innen, die erst noch ihre Ausbildung absolvieren mussten, nicht voll einsetzbar waren und das Verhältnis 8:15 zeigt, dass lediglich die Hälfte von dem Soll anwesend war, und das in einer Zeit, in der sich seit 2015 und 2016 schon Rückstände gebildet hatten, weil in der Zeit ein Bevölkerungswachstum stattgefunden hat, der schon zum damaligen Stand nach Ansicht aller Standesämter in Berlin zu einem Aufwuchs hätte führen müssen, von mind. 1-2 Standesamten pro Bezirk. Das wird jetzt in der Organisationsuntersuchung möglicherweise auch nochmal nach oben korrigiert werden.

Zu Frage 2 und 3:

Frau BzStRätin Dr. Obermeyer antwortet: „Vielmehr: Wie erkläre ich Ihnen das. Ich konnte diese Hilfe nicht annehmen, weil sie nicht darin bestand, mir die, wie eben erläutert, die fehlenden Standesbeamt*innen zu geben, sondern, diese Hilfe bestand darin, Workshops durchzuführen, um über einen zielführenden Einsatz von Mitarbeitenden zu sprechen. Mitarbeitende haben wir auch im Standesamt, aber diese sind nicht Standesbeamt*innen und uns fehlte quasi immer der Abschluss. Die Akten stapeln sich bei den Standesbeamt*innen, nicht bei den Mitarbeitenden. Diese Hilfe über Standesbeamt*innen hat der Bezirk Reinickendorf nicht angeboten, deswegen musste ich anderen Bezirke darum bitten. Das war auch eine Aufforderung durch die Senatsverwaltung. Andere Bezirke, nämlich Friedrichshain-Kreuzberg und Tempelhof-Schöneberg, haben diese Hilfe trotz eigener Probleme auch gewährt, wenn auch nur für einen kurzen Zeitraum. Die haben aber wirklich voll ausgebildete Standesbeamt*innen nach Mitte entsandt, und das war gut. Wir selbst haben erst einmal unsere eigenen Möglichkeiten ausgeschöpft, Mitarbeitende auch umgesetzt, um zu verstärken. Wir haben uns frühzeitig bemüht, pensionierte Standesbeamt*innen zu gewinnen, was uns auch gelungen ist. Insgesamt ist das nur in 2 Fällen in Berlin gelungen. Der eine Fall sind wir und wir haben das auch ohne die Senatsverwaltung geschafft. Das ist eine Hilfe, die auch jetzt noch wichtig für uns ist. Insofern war das Hilfsangebot von Reinickendorf einfach nicht passend, das den Charakter hatte, als müsste ich mit dem Taxis schnell irgendwo hin, und Reinickendorf stellt mir ein Dreirad hin.“

Zu Frage 4:

Frau BzStRätin Dr. Obermeyer antwortet: „Ich habe später angefangen, was jetzt nicht der entscheidende Punkt ist. Reorganisieren und Arbeitsabläufe in den Griff bekommen, das sind Worthülsen, die nicht den Kern unserer Problematik treffen. Die personelle Situation, der massive Personalausfall, der über Jahre gewachsen ist, der lässt sich nur allmählich abbauen. Wir haben erst mit den Entscheidungen zum Haushalt 2018/2019 auch nochmal aufstocken können. Wir haben erst in 2017 Personal neu angestellt. Jetzt haben wir April 2018, ich weiß nicht, wie Sie erwarten, dass man so schnell die Rückstände abarbeitet und alles besser geht. Das dauert seine Zeit. Am unangenehmsten ist es für diejenigen, die die Dienstleistung in Anspruch nehmen wollen, sowie für die Mitarbeitenden im Standesamt, die das Möglichste geben und für die ich wirklich hoffe, dass sie nicht weiter durch Langzeiterkrankungen ausfallen. Ich möchte auch nochmal darauf hinweisen, dass es nicht um ein mittespezifisches Problem geht. Es gibt eine Organisationsuntersuchung zu den Standesämtern, die nicht nur deshalb vom Senat und allen 12 Bezirken gemacht wurde, um nur Mitte unter den Deckmantel der Organisationsuntersuchung zu helfen, es gibt Probleme in allen Standesämtern. Sie müssen sich nur mal die Terminvergaben im Internet ansehen. Da werden Sie feststellen, dass Sie in den Bezirken Pankow, Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg, Steglitz-Zehlendorf in den nächsten Monaten keine Termine zur Eheschließung bekommen. Alle haben auf Ihren Internetseiten dieselben Hinweise wie wir. Die haben auch ein ähnliches Beschwerdeaufkommen. Dann sehen Sie sich noch andere Bezirke an, die haben zum Teil nur 12 Stunde je Woche überhaupt geöffnet. Es gibt wirklich Schwierigkeit, die diese Organisationsuntersuchung, ähnlich wie bei den Bürgerämtern, die vorher stattfand, rechtfertigen.“

Zu Frage 5:

Frau BzStRätin Dr. Obermeyer antwortet: „Natürlich haben wir die örtlichen Gegebenheiten analysiert. Was macht man sonst als verantwortungsvolle Amts- und Abteilungsleitung? Wir haben auch sukzessive Veränderungen an er Wartesituation vorgenommen. Wir haben auf Online-Terminvergabe umgestellt, die auch Probleme mit sich bringt, aber zumindest die Wartesituation vor Ort entspannt. Wir haben früher Einlass gewährt, um die Wartesituation in der kalten Jahreszeit zu verändern. Wir überlegen, wie wir die Sprechstunden gestalten, tunlichst auch in Absprache mit der Senatsverwaltung, im Kontext zur Organisationsuntersuchung, denn die Rundum-Sorglos-Lösung gibt es nicht. Ich könnte auf eine Online-Sprechstunde umstellen, dann sind die Menschen aber auch unzufrieden. Dass wir im Moment mehr Anfragen haben, als wir Termine vergeben können, wird immer sichtbar, egal wie wir es organisieren. Wir sind insgesamt auf einem guten Weg. Wir haben die Bearbeitungszeiten im Bereich „Geburten“ halbiert. Wir sind noch lange nicht am Ziel, aber weit voran gekommen. wir bieten auch mehr Eheschließungs- und Beratungstermine an, so wird es auch in 2018 weitergehen.“

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